„Frau Münzel, wann geht's denn endlich los? Kommt da wirklich ein richtiger Angeklagter?“ Die Anspannung der Kids aus der 8b ist deutlich zu spüren. Zwei Verhandlungen stehen an, Diebstahl und Körperverletzung. Täter, Geschädigte, Zeugen - was im Lehrbuch oftmals recht trocken daher kommt, wird heute erlebbar. Politikunterricht zum Anfassen. Das echte Leben eben.
Als die Schülerinnen und Schüler auf den Holzbänken im Raum 125 des Amtsgerichts Lüneburg Platz nehmen, sitzen Staatsanwalt und Protokollantin bereits auf ihren angestammten Plätzen, natürlich in ihren typischen schwarzen Roben. Vom Richter noch keine Spur. Vom Angeklagten auch nicht. Es ist 9 Uhr, da betritt der Richter plötzlich den Saal. „Bitte erheben Sie sich.“ Kein Murren, kein Zögern, alle stehen sofort auf. Gespannt warten sie auf die ersten Worte des Richters.
„Wie Sie sehen können, ist der Angeklagte noch nicht anwesend. Dieser hat jetzt noch 15 Minuten Zeit, um zum Prozess zu erscheinen, ansonsten gibt es verschiedene Verfahrensweisen.“ Und er beginnt, zu erklären. Der Richter nutzt den Leerlauf, um den Schülerinnen und Schülern erste Sachverhalte darzulegen und Fragen zu beantworten - freundlich, locker, auf Augenhöhe. Er erläutert, was dem Angeklagten vorgeworfen wird und was passiert, wenn er nun nicht mehr kommt.
Das hofft aus der 8b allerdings niemand, schließlich wollen die Mädels und Jungs heute richtig was erleben. Doch ihre Befürchtungen und die des Richters werden wahr - der Angeklagte schwänzt seinen Gerichtstermin. Die Verhandlung wird vertagt. „Und beim nächsten Termin wird der Angeklagte bereits morgens um 6 Uhr von einer Polizeistreife abgeholt.“
Der Richter erklärt nun seinen Werdegang. Und die Klasse löchert ihn mit Fragen. „Was war die längste Haftstrafe, die Sie verhängt haben?“ „Was war ihr schlimmster Fall?“ „Können Sie zu Hause abschalten, auch wenn es um schwere Verbrechen geht?“ „Fühlen Sie sich manchmal auch belustigt von Fällen?“ „Wann bekommen Angeklagte einen Pflichtverteidiger?“ „Sehen Sie Täter häufig mehrmals?“
Die Antworten sind spannend, aus erster Hand eben, und manches lässt einem einen kalten Schauer über den Rücken laufen. So berichtet er zum Beispiel auch von furchtbaren Morden, die er verhandelt hat. Das hat von den Schülerinnen und Schülern so niemand erwartet. Die Mädchen und Jungen bleiben aufmerksam, auch wenn sie nun schon seit über einer Stunde mit dem Richter über die Anekdoten seines Berufsalltags sprechen.
Schon ist die Zeit rum, die nächste Verhandlung steht an. Körperverletzung, es geht um unmittelbare Faustschläge in das Gesicht des Opfers. Der Angeklagte in diesem Fall betritt dieses Mal dann auch tatsächlich den Saal. Sein Verteidiger sitzt bereits an seinem Platz. Ganz offensichtlich wird es dieses Mal interessanter werden. Der Staatsanwalt verliest die Anklage. Der Richter bittet den Angeklagten um eine Stellungnahme - wenn er denn möchte. Und er möchte.
Die Sache stellt sich nun gar nicht mehr so eindeutig dar. Alkohol sei im Spiel gewesen, auch das vermeintliche Opfer habe aggressives Verhalten an den Tag gelegt. Doch - und das ist für die Besucher erneut bedauerlich -, der Geschädigte erscheint nicht im Gerichtssaal und verpasst den Prozess, den er selbst angeleiert hat.
„Auch das kommt vor“, so der Richter. An manchen Tagen gehe es heiß her in den Prozessen, an manchen Tagen erschienen die Beteiligten einfach nicht im Gericht. Heute ist wieder einer dieser Tage. Am Ende erlangt der Angeklagte einen Freispruch.
Und die Schülerinnen und Schüler? Sind ein bisschen enttäuscht, aber auch zufrieden. „Können wir nicht einfach noch mal hierher kommen an einem anderen Tag?“, fragt Neo. „Dann haben wir vielleicht etwas mehr Glück.“
Die Lehrkraft ist mit dieser Bilanz sehr zufrieden, auch wenn nicht alles nach Plan lief. Aber die 8b hat sich vorbildlich benommen, viele Fragen gestellt und am Ende sogar ein positives Feedback ausgesprochen. Sie alle haben nun ein deutlicheres Bild von deutschen Gerichten vor Augen. Ein Bild, das hoffentlich nachhaltig ist.
Auch die Klasse 8a war inzwischen im Amtsgericht! Vielen Dank an den zuständigen Richter – wirklich eine eindrückliche Erfahrung. 😀